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Christian Franke, seines Zeichens Sozialpädagoge, ist seit
Beginn in dieser Wohngemeinschaft dabei. Vorher hat er in der
Jugend- und Behindertenarbeit in Deutschland gearbeitet, bis es
ihn aus privaten Gründen nach Wien getrieben hat. In dem
schönen revitalisierten Altbau in der Darwingasse residiert er mit
seiner Truppe und plaudert über seine Wohngemeinschaft:
Am Anfang haben wir hier auf einer Baustelle gelebt mit
Matratzenlager und ohne Küche. Da haben wir viel improvisiert,
aber das hat das Team auch zusammen geschweißt und die
Klienten, die damals schon da waren.
Wir haben nie wirklich Probleme mit den Bewohnern des
Hauses gehabt bis auf einmal: Da hat uns der Hausmeister
unterstellt, dass der Hund einer Mitarbeiterin in den Hausgang
geschissen hat. Das war eigentlich alles. Ansonsten ist die
Struktur im Haus sehr durchwachsen. Wir werden akzeptiert,
wir werden gegrüßt. Wir sind ganz einfach da. Wir waren die
ersten, die hier im Haus waren nach der Generalsanierung.
Vielleicht hat uns das auch ein wenig geholfen. Denn so waren
wir vom ersten Tag an Bestandteil dieses Hauses.
Bunte Mischung
Die Struktur dieser Wohngemeinschaft ist ungewöhnlich. Hier im
ersten Stock sind es neun Plätze, geteilt in zwei Wohngemein-
schaften, die große hier vorne und eine kleinere hinten. Sie sind
beide ausgerüstet mit einer Wohnküche. Für die kleinere Wohn-
gemeinschaft mit vier Plätzen und die größere mit fünf Plätzen
hat Küche und Wohnzimmer. Beide sind verbunden, jede hat
aber auch ihren eigenen Hauseingang. Die hintere Wohn-
gemeinschaft war von Anfang an belegt mit selbständigeren
Bewohnern, die selbst kochen können, selber einkaufen gehen,
mit der Zielsetzung, sie irgendwann zu verselbständigen. Wann
ist eigentlich egal, aber die Zielsetzung ist da!
Die fünf in der vorderen Wohngemeinschaft sind die, die
intensiver zu betreuen sind. Wir haben auch eine Autistin hier,
die nonverbal ist. Da muss viel gemacht werden. Dann haben
wir einen Bewohner mit Herzinfarkt, wo vieles gemacht werden
muss, der auch noch inkontinent ist. Dann haben wir noch einen
Rollstuhlfahrer, er bedarf größerer Hilfe. Wir haben jetzt auch
einen Neuzugang. Das werte ich auch teilweise als Versuch,
denn die Klientin ist blind. Außerdem ist sie noch geistig beein-
trächtig und hat Epilepsie. Aber sie hat auch bestimmt Stärken.
Sie ist z.B. sehr musikalisch und spielt Klavier. Da weiß ich noch
gar nicht, wo es mit ihr hingeht.
Dieses bunte Gemisch verträgt sich unheimlich gut, was auch
unter anderem daran zu spüren ist: Urlaubsaktion heißt, wenn
wir fahren, dann alle. Nicht nur die Selbständigeren wollen
zusammen, sondern alle aus der Wohngemeinschaft, der ganze
Pulk muss es sein. Und es wird keiner ausgegrenzt. Das ist eine
Geschichte, die wir vom ersten Tag an auch gelebt haben.
Es gibt also keine Abgrenzungen der einzelnen in der Wohn-
gemeinschaft. Streit gibt es natürlich auch öfter, so wie im
richtigen Leben, vor allem zwischen den Mädels. Das sind eben
Mentalitätsgeschichten und da knallt es auch mal zwischendurch.
Nach zwei Stunden ist alles wieder vergessen.
Das Alter der Bewohner liegt zwischen 18 und 55 Jahren,
aber das Gros der Bewohner liegt eher in der unteren Hälfte
dieser Altersspanne, also die meisten sind Ende 20, Anfang 30.
Probleme gibt es damit nicht, das wird eher gar nicht wahr-
genommen. Die Altersstruktur ist gar kein Problem. Untertags
gehen alle ausnahmslos arbeiten in Beschäftigungstherapien.
Es gibt also für alle einen normalen Arbeits -Freizeitrhythmus.
Im 1. Obergeschoß des Hauses gibt es auch noch eine
Einzelwohnung, wo unsere zehnte Klientin wohnt und noch eine
„Außenwohnung“, die 300 Meter entfernt am Volkertmarkt ist,
wo eine Klientin wohnt, die schon einmal auf dem ersten
Arbeitsmarkt war, dort aber gescheitert ist. Wir sind jetzt aber
bestrebt, sie dort jetzt wieder unter zu bringen über einen Kurs,
der von Wien angeboten wird. Diese Klientin vom Volkertmarkt
versorgt sich selbständig.
Unsere Klientin, die erst vor kurzem in das 1. Obergeschoß
gezogen ist, ist eigentlich noch totaler Bestandteil der Wohn-
gemeinschaft, hat aber den eigenen Schlafplatz oben.
Wir fangen jetzt an mit der ersten Mahlzeit in der Woche,
die sie selbst kochen soll am Abend und werden das langsam
ausweiten. Weil sie ist wahrscheinlich die nächste Kandidatin,
die sich in Richtung erster Arbeitsmarkt entwickeln kann.
Man geht mit viel Elan in seinen ersten Arbeitsbereich als
Sozialpädagoge. Im Laufe der Jahre wird man ruhiger.
Am Anfang hat man verständlicherweise hochfliegende Pläne,
wobei die Ziele sind bei mir eigentlich immer gleich geblieben.
Das „Verselbständigen“ der Menschen, die ich betreue,
das ist geblieben. Das war für mich immer das Thema. Ich habe
mit relativ „starken Brocken“ gearbeitet – also mit straffällig
gewordenen Jugendlichen oder die kurz davor stehen – also
wilde Jungs. Auch da haben wir es immer wieder geschafft,
Wohngemeinschaft Darwingasse
Darwingasse 35/1, 1020 Wien
Christian Franke