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Fast am Stadtrand von Wien befindet sich die älteste
Wohngemeinschaft unter der Obhut von Auftakt. Christian
Thaler hat 2009 die Leitung dieser Wohngemeinschaft über-
nommen und schildert sowohl seinen beruflichen Werdegang
als auch den Alltag in seiner Wohngemeinschaft:
Ich habe die Sonderschullehrerausbildung gemacht und dann
nach Abschluss ein Psychologiestudium angehängt. Im Rahmen
dieses Studiums war ich ein Jahr in Berlin und als ich dann
zurückgekommen bin, habe ich bei Auftakt begonnen.
Das war 2002. Zuerst habe ich nur ganz kurz hineinge-
schnuppert als Besuchsdienst in der Radetzkystraße, dann
aber zwei Monate später gewechselt als Betreuer in die
Wohngemeinschaft Senefeldergasse, die jetzige
Wohngemeinschaft Sedlitzkystraße. Dort bin ich ziemlich
genau drei Jahre geblieben. Ich habe dann Veränderung
gesucht und nach der entsprechende Ausbildung in der
Mediation versucht, ein Jahr lang irgendwie Geld damit zu
verdienen. Auf diese Art bin ich auch in der Gebietsbetreuung
im 22. Bezirk gelandet. Das hat aber alles nicht so befriedi-
gend geklappt. Ich konnte aber wieder bei Auftakt beginnen
und bin als Betreuer in der Wohngemeinschaft Radetzkystraße
eingestiegen. Im April 2009 habe ich hier in der Wohn-
gemeinschaft Ketzergasse als Leiter angefangen.
Spannende Kommunikation
Unser Jüngster hier ist Mitte 20 und die Ältesten sind knappe
60. Im Augenblick sind wir hier nur sieben Leute, weil ein
Bewohner in eine andere Wohngemeinschaft gewechselt hat.
Es gibt in dieser Zusammensetzung der Bewohner sicher einige
Problemfelder. Der Jüngste hat z.B. aus seiner Wahrnehmung
der Welt heraus schon immer wieder Schwierigkeiten: er wird
zum Beispiel aggressiv und beißt andere oder schlägt, wenn
aus seiner Sicht gewisse Leute manche Regeln nicht einhalten
oder etwas tun, was sie nicht sollten. Da übernimmt er in
gewisser Weise eine Sanktionierrolle und macht das aber in
einer nicht adäquaten Art und Weise. Es kann dann sein,
dass er jemanden beißt, haut, schlägt etc., wenn sich jemand
wo aufhält, wo er sich nicht aufhalten sollte. Damit haben wir
auf der einen Seite Schwierigkeiten und auf der andern Seite
können wir aber auch gut damit arbeiten. Da die Ursprünge
dieser Wohngemeinschaft von der Autistenhilfe kommen,
haben wir natürlich nach wie vor einen gewissen Autisten-
schwerpunkt. Einen haben wir, der in sehr kurzen Sätzen
kommuniziert. Dann haben wir einen Klienten, der zwar viel
sprechen kann, der aber schwer verständlich ist. Auch
langjährige Mitarbeiter tun sich da schwer und können nicht
alles verstehen, was er sagt. Einen Herren haben wir zum
Beispiel, der gut reden kann, aber geistig nicht so fit ist, so
dass er sich immer wieder in den gleichen Wortschleifen
verfängt. Insgesamt also ein recht bunter Haufen.
In vielerlei Hinsicht klappt das Zusammenleben aber sehr gut,
es gibt hier so etwas wie ein Zusammengehörigkeitsgefühl.
Das merkt man, wenn sie sich hier gemeinsam im Wohn-
bereich aufhalten und doch auf die eine oder andere Weise
kommunizieren. Was auch sehr spannend ist, wenn man als
Betreuer einmal nicht da ist und dann in den Raum wieder her-
ein kommt und man dann mitbekommt, dass hier doch
lebhafte Kommunikation und ein gewisses Miteinander
stattfinden. Es gibt aber sicher auch Bewohner, die mit einem
Zuviel an Gruppe auch durchaus überfordert sind.
Unter der Woche werden die Klienten in der Früh aufgeweckt
und die ersten werden schon in der Früh um 7 Uhr abgeholt.
Das heißt, mit diesen beginnt man als erster mit Morgen-
hygiene und Frühstück. Die meisten sind hier in den immer
wiederkehrenden Tagesroutinen ziemlich selbständig. Dann
fahren eben alle in die Werkstatt. Wir sind doch hier exponiert
am Stadtrand von Wien, so dass die Leute von den Fahrten-
diensten eben sehr früh oder sehr spät abgeholt werden,
also wir sind da entweder die ersten oder die letzten.
Untertags sind also alle in einer Tagesstruktur, alle werden von
den Fahrtendiensten gebracht, wir haben also keine
Selbstfahrer. Die zwei Damen, die in den angeschlossenen
Einzelwohnungen wohnen – da läuft alles ganz anders ab.
In der Früh haben wir - wie auch in den anderen Wohn-
gemeinschaften - eine Haushaltshilfe, die bei der Morgen-
hygiene unterstützend dabei ist, vor allem für zwei Klienten.
Mitte Nachmittag kommen dann die Klienten wieder zurück –
so wie in der Früh eben sehr zeitig oder sehr spät. Dann
beginnt hier Leben und Alltag mit Wäsche waschen, einkaufen
gehen. Wir haben hier bei fast jedem einen Einkauf- und
Kochtag, was in Abhängigkeit von der Behinderung sehr
unterschiedlich abläuft. Wir haben einen Klienten, der sich
seinen Einkaufzettel selber schreibt und selbst mit dem Geld
einkaufen geht und nur von einem Betreuer begleitet wird.
Und bei anderen ist es ein guter, gelungener Einkauf, wenn sie
einfach nur mitgehen und das reibungsfrei abläuft. Das ist für
manche schon ein Schritt, bis zum Geschäft zu kommen, dort
den Einkauf, den der Betreuer erledigt, im Geschäft mit den
verschiedenen Situationen über sich ergehen zu lassen und
dann beim Kochen nur einfach dabei zu sein.
Wohngemeinschaft Ketzergasse
Ketzergasse 61A, 1230 Wien
Mag. Christian Thaler
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