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aber dafür nicht zuständig fühle, legt sie sich einfach mit ihrer Trainingshose ins
Bett. Zuvor nimmt sie aus ihrer Spielkiste noch einen Elefanten in die rechte Hand,
in der linken trägt sie die ganze Zeit über eine blaue Ente, die sie nie loslässt,
auch nicht während des Essens. Meist ist ihre Mimik angespannt und ernst. Die
Betreuungsperson erledigt mit ihr schnell das gewohnte abendliche Reinigungs-
ritual. Mit dem Elefanten in der einen und der Ente in der anderen Hand legt sie
sich zufrieden ins Bett. Üblicherweise steht sie um 6.00 Uhr am Morgen auf. Auf
die Toilette geht sie nicht, sie trägt eine Schutzhose. Ihre unmittelbare Zimmer-
nachbarin ist Frau F., die nach wie vor eine CD als eine Art Fächer benutzt. Im
Gegensatz zum Besuch vor drei Jahren treffe ich sie in ihrem Zimmer an, das sie
früher oft nur aufgesucht hat, wenn ihre Schwester auf Besuch gewesen ist. Die
geschlossene Tür signalisiert, dass sie in Ruhe gelassen werden will. Sie ist weiter-
hin freundlich gestimmt und obwohl wir uns lange nicht gesehen haben, streckt
sie mir ihre Hand entgegen und freut sich, dass ich ihr leicht den Rücken massiere.
Während des Essens fällt mir auf, dass die BewohnerInnen es gewohnt sind, das
gebrauchte Geschirr in die Küche zu tragen und in den Geschirrspüler zu stellen.
Frau F. scheitert aber, weil die Türe zur Teeküche versperrt ist. Die Betreuungs-
person kommt schnell nach und öffnet die Tür, um Frau F. das selbstständige Ab-
räumen zu ermöglichen. Als die anderen BewohnerInnen ebenfalls vor der ver-
sperrten Küchentür stehen, tragen sie das Geschirr wieder zurück. Am Ende bleibt
diese Arbeit der Betreuungsperson.
Frau F. macht sich heute einmal nass. Dies ist deutlich zu sehen, als sie ihr Zimmer
verlässt und in den Gang tritt. Eine Betreuerin meint, dass sie das ab und zu ab-
sichtlich macht, um Zuwendung zu bekommen. Wenn man sich hingegen mit ihr
beschäftigt, kommt es vor, dass sie rechtzeitig aufs Klo geht.
Herr S. hält sich fast durchwegs im ersten Stock auf. Hier hat er sein Zimmer, hier
gibt es die Toilette, den Gang und den kleinen Aufenthaltsraum, was ihm offen-
sichtlich genügt.
Häufig wechselt er zwischen seinem Zimmer und der Toilette hin und her.
Er sitzt bei geöffneter Tür lange auf dem Klo. Als Frau E., die ihr Zimmer im Parter-
re hat, aber sich auch gerne mal im ersten Stock aufhält, vorbeikommt, geht sie
zielstrebig zu Herrn S. in die Toilette. Als sich dieser in sein Zimmer zurückzieht,
greift Frau E. sofort in die Kloschüssel und spielt mit dem verschmutzten Wasser.
Dazu hat sie aber nur wenig Zeit, weil die Betreuungsperson sie entdeckt und das
unterbindet. Herr S. hält einen Ball in der Hand, seine Hose rutscht oft über den
Hintern, er zieht sie aber selbst wieder hoch. Zum Essen trinkt er sehr viel Saft-
wasser. Auch wenn nichts mehr im Becher ist, führt er den leeren Becher wieder-
holt an den Mund und deutet das Trinken an. Eine Betreuungsperson schenkt ihm
nach, weil Herr S. dazu selbst nicht in der Lage ist.
Herr S. lebt, wie schon vor drei Jahren in seiner eigenen Welt. Diesmal nimmt er
keinen Kontakt zu mir auf, selbst auf das Zuwerfen des Balles reagiert er nicht.
Herr S. ist der Betreuungsperson beim Tragen des Waschkorbes, der mit sauberer
Wäsche gefüllt ist, behilflich, beim Einräumen beteiligt er sich nicht.
Herr W. lacht wie vor drei Jahren und hat wie damals sein Stück Stoff in der Hand,
auf dem er kaut, bis es schließlich ganz nass ist und getauscht wird. Einmal findet
er einen einzelnen Socken, den er ebenfalls in den Mund nehmen will, was aber
noch rechtzeitig verhindert werden kann. Im neu eingerichteten Aufenthaltsraum
setzt sich Herr W. ganz nah vor das laufende TV-Gerät und folgt mit seinem Kopf
den Bewegungen. Herr W. wird bereits vor dem Abendessen geduscht und trägt
einen Pyjama, den er allerdings beim Essen schmutzig und nass macht.
Frau E. fällt außer ihrer Aktion im ersten Stock mit dem Klowasser kaum auf. Sie
ist zwar ständig in Bewegung, ich vermisse aber ihr schnelles Laufen, das sie vor
drei Jahren noch oft gezeigt hat. Ich sehe sie auch längere Zeit in ihrem eigenen
Zimmer am Teppichboden liegen und sie hält sich auch kurz in den offenstehen-
den Zimmern der MitbewohnerInnen auf. Wegen ihrer Vorliebe für Flüssigkeiten
jeder Art müssen nach wie vor alle Nassräume versperrt werden, was eine große
Beeinträchtigung für die BewohnerInnen und BetreuerInnen darstellt, die ständig
die Türen auf- und zusperren müssen.
Frau E. setzt sich gerne auf den Heizkörper vor dem Fenster in der Wohnküche
und beobachtet von hier das Geschehen drinnen und draußen. Nach wie vor trägt
Frau E. ständig einen Brustlatz. Die Wochenenden verbringt Frau E. wie früher bei
ihren Eltern, die durch ihre medizinische Ausbildung auch die Oberhoheit über
alle gesundheitlichen Belange ihrer Tochter haben.
Herr B. scheint ebenfalls zufrieden zu sein, obwohl sein Zimmer im Vergleich zum
Besuch vor drei Jahren nahezu kahl und leer ist. Der Einkaufswagen und der Pup-
penwagen mit den Plüschtieren sind weg. Es finden sich nur mehr einige kleine
Plüschtiere in seinem Zimmer, der Großteil seines Zoos ist verschwunden. Sein
Lächeln im Gesicht deutet darauf hin, dass er dennoch zufrieden ist, zumal für