Jahresbericht 2013 - page 40

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und einschlägt. Ich strecke ihr daraufhin öfters meine Hand zum Einschlagen ent-
gegen, worauf sich der Vorgang wiederholt. Scherzhaft klage ich über ihre festen
Schläge, worauf sie lacht.
Weil ich mich mit ihr aktiv auseinandersetze, sucht sie in der Folge meine Nähe.
Sie folgt mir selbst in den Vorraum, wo ich mich in eine ruhige Ecke zum Telefonie-
ren zurückziehe. Plötzlich greift sie nach meinen Händen und will sie in Richtung
ihrer primären Sexualmerkmale bewegen. Überrascht ziehe ich meine Arme zu-
rück, worauf sie ihren Pulli hochschiebt, um mir ihre Brüste zu zeigen. Anschlie-
ßend versucht sie ihre Hose auszuziehen. Nachdem ich ihr erkläre, dass sie das
lieber bleiben lassen soll, stellt sie diesen Verführungsversuch ein und bleibt den
restlichen Abend ohne weitere Peinlichkeiten in meiner Nähe.
Frau P. hält sich meist in ihrem Zimmer auf, das mit einer Hängematte ausgestat-
tet ist. Mit ein paar Schritten lässt sie die Matte weit ausschwingen, so dass sich
durch den Wind ihre Haare einmal aus dem Gesicht dann wieder vor das Gesicht
legen. Außerhalb ihres Zimmers treffe ich sie im Gang oder auch in der Küche am
Boden hockend an.
Außergewöhnlich ist, dass sie mit ihrer rechten Hand einen faustgroßen Stein um-
klammert. Die Betreuerinnen erzählen, dass Frau P. ein besonderes Interesse für
Steine hat. Anfangs hatte sie kleine Steine, die sie aber manchmal verschluckte.
Um diese Gefahr zu vermeiden, sind die BetreuerInnen dazu übergegangen ihr nur
mehr große Steine zu überlassen. Allerdings hat sie in der Vergangenheit schon
so manchen Stein von sich geschleudert, wenn sie schlecht drauf war. Alle hoffen,
dass sie den großen Stein wie einen Schatz behütet und nicht als Wurfgeschoß
verwendet. Nur während des Essens legt sie den Stein beiseite, um selbstständig
das Essen einnehmen zu können.
Frau A., die ich zuvor in der WG Sedlitzkygasse kennenlernen konnte, ist hier in
eine der zwei Wohnungen für selbstständigere BewohnerInnen eingezogen. Sie
hat jetzt einen eigenen Haushalt und könnte dort auch selbst das Frühstück zube-
reiten und sogar etwas kochen, sie lässt sich jedoch nach wie vor lieber bedienen
und nimmt am gemeinsamen Essen der WG teil.
Neben den sechs Damen wohnen in dieser WG noch vier Herren, die zum Großteil
gemeinsam vom Otto Wagner Spital (OWS) hierher übersiedelt sind. Da ist einmal
Herr K., der sofort auffällt, weil er ständig Laute von sich gibt. Selbst während
des kurzen gemeinsamen Spaziergangs vor dem Abendessen lässt Herr K. ständig
klagende Laute hören. Am ruhigsten ist er während des Essens und nach dem
Spaziergang. Es lässt sich nicht nachvollziehen, warum er die Laute von sich gibt
und was sie genau bedeuten, da sie eine große Variationsbreite aufweisen. Die
Betreuungspersonen erzählen, dass er manchmal sogar mitten in der Nacht mit
seinen Lautmalereien beginnt. Da seine Ausrufe meist mit einer gequälten Mimik
einhergehen, sind es keine Ausdrücke der Freude sondern eher Klagelaute.
Herr K. trägt seine Hosen mit Trägern, weil seine Hüfte und sein Bauch keine an-
dere Befestigung erlauben. Da er gut und gerne isst, nimmt er stetig an Gewicht
zu. Herrn K. treffe ich meist ruhelos in der WG auf und abwandernd an, er starrt
auf seine Fingernägel, nimmt aber auch das Rundherum wahr und weicht Mitbe-
wohnerInnen oder Gegenständen problemlos aus. Einmal muss ich beobachten,
wie Herr K. seine Blase im Gang und nicht imWC, das abgesperrt ist, erleichtert. Er
hat dabei selbstständig seine Hose runtergelassen und ist froh, dass ich ihm beim
Anziehen helfe.
Herr S. ist ein weiterer Bewohner, der, so scheint es, seine Umwelt nur marginal
wahrnimmt. Er trägt eine Trainingshose, die ihm immer leicht über den Hintern
hängt und die von den BetreuerInnen, sobald sie ihm über den Weg laufen, hoch-
gezogen wird.
Gegenwärtig hat er Schlafrhythmusstörungen. So hat er letzte Nacht kein Auge
zugemacht, wurde aber dennoch wie üblich mit dem Bus in die Tagesstruktur ge-
fahren. Den KollegInnen in der Werkstätte wurde aufgetragen dafür zu sorgen,
dass er dort nicht die ganze Zeit über schläft. Als er heute im Bus nach Hause kam,
hat er bereits so fest geschlafen, dass sein Gesicht mit Schnee berührt werden
musste, um ihn im Bus aufzuwecken. Beim Spaziergang durch die frische Abend-
luft wird er wieder munter. Er hat die Angewohnheit an allen Sträuchern kurz zu
ziehen, einmal kommt er dabei einem Dornbusch zu nahe und reißt sich seine
warme Daunenjacke auf, worauf sich eine Wolke weißer Federn auf den umlie-
genden Schnee legt.
Während des Abendessens nickt er später zwischen den einzelnen Bissen fast ein.
Er lässt sich ohne Gegenwehr von Frau E. das Essen wegnehmen, isst schlussend-
lich aber doch genug. Nach dem Abendessen nimmt mich Herr S. erstmals richtig
wahr, er kommt auf mich zu und umarmt mich, wobei er mit seinem Stoppelbart
meine Wange berührt.
Alle Betreuungspersonen hoffen, dass er diese Nacht gut schlafen wird.
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