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gungsmöglichkeiten hat dazu geführt, dass Frau E. insgesamt ein wenig ruhiger
geworden ist. Sie hält sich auch öfter als früher in ihrem eigenen Zimmer auf und
läuft seltener auf der Suche nach neuen Abenteuern den Gang entlang. Diesmal
konnte ich auch das von ihr früher oft praktizierte Lärmen nicht beobachten.
Was bei Frau E. kaum gelingt, nämlich ihr Grenzen zu setzen und sie somit sozial
verträglicher zu machen, wird bei den anderen BewohnerInnen erfolgreich prak-
tiziert. So wurden die Plüschtiere von Herrn B. sehr stark reduziert. Es gibt weder
den Einkaufs- noch den Puppenwagen mit Plüschtieren und auch auf seinem Bett
finden sich nur mehr kleine Reste vom einstigen Zoo. Offensichtlich erkennbare
negative Auswirkungen lassen sich durch diese große Änderung nicht nachwei-
sen. Herr B. ist nach wie vor ein ruhiger, freundlicher Bewohner, der sich immer
ein wenig von den MitbewohnerInnen distanziert. So nimmt er nach wie vor an
einem Extratisch sitzend sein Essen ein und auch bei gemeinsamen Spaziergängen
folgt er den KollegInnen in großem Abstand. Was sich leicht geändert hat ist, dass
er sich weniger in seinem Zimmer aufhält, sondern aktiver als früher den Kontakt
zu Betreuungspersonen sucht und sie bei ihren Alltagsbeschäftigungen begleitet.
Nicht nur Frau E. greift nach dem Essen und den Getränken der MitbewohnerIn-
nen, auch Frau F. macht das gerne. Aus dem aktuellen Protokoll: „Frau O. isst ihre
Brote am Frühstückstisch, neben ihr steht ein Plastikbecher mit entkoffeiniertem
Kaffee. Plötzlich kommt Frau F., sieht den vollen Becher bei Frau O. stehen, nimmt
ihn in ihre Hände und trinkt ihn gierig leer. Den Protest der Betreuungsperson
ignoriert sie, Frau O. bekommt einen weiteren Becher Kaffee.“ Die Vorliebe für
das Getränk ihrer MitbewohnerInnen hatte Frau F. bereits zu Beginn ihres Einzugs
in die WG und sie hat diese unangenehme Verhaltensweise noch nicht abgelegt.
Eine deutliche Verbesserung des sozialen Wohlbefindens lässt sich am geänder-
ten Verhalten von Frau O. festmachen. Als ich sie vor drei Jahren das erste Mal
beim Essen beobachtete, fiel mir ihre ungewöhnliche Körperhaltung auf. Sie beug-
te ihren Kopf ganz nah über das Essen, so dass der Teller seitlich fast vollständig
mit ihren dichten schwarzen Haaren abgedeckt war. Heute sitzt sie aufrecht am
Tisch und nimmt das Essen wie fast alle anderen BewohnerInnen ein. Die äußerst
eigenartige Art des Essens hat sich Frau O. bereits am „Steinhof“ angewöhnt.
Mit dieser Art des Essens konnte sie es vor dem Raub der MitbewohnerInnen am
besten schützen. Frau O. hat inzwischen erkannt, dass diese Vorsichtsmaßnahme
nicht mehr nötig ist und nimmt beim Essen eine aufrechte Körperhaltung ein.
Frau P. ist zufrieden, wenn jeder Tag nach bestimmten Vorstellungen und Ritua-
len verläuft. Wenn sich jedoch dennoch der eine oder andere Rhythmus etwas
verschiebt, kann sie inzwischen etwas besser als früher damit umgehen. Aus dem
Protokoll: „Frau P. ist heute als dritte und nicht wie üblich als zweite im Bad. Die
Betreuerin befürchtet, dass sich das noch rächen könnte. Wenn in der Werkstatt
auch noch was schief geht, könnte das ausreichen, dass sie am Abend sehr un-
ausgeglichen ist. In solchen Fällen dreht sie auf und schreit nur mehr. Dann hilft
nur eine verstärkte Zuwendung, um ihre Wut zu bändigen, weiß die Betreuerin zu
berichten.“
Da Frau P. in der Zwischenzeit Kastanien akzeptiert und es nicht mehr Steine sein
müssen, die sie in ihren Wutanfällen durch die Gegend wirft, konnte erreicht wer-
den, dass in der WG ein permanentes Gefahrenmoment reduziert wurde. Nach
wie vor wirft Frau P. alles von sich, wenn sie wütend ist, das gehört zu ihrer festen
Handlungsabfolge. Da sie aber jetzt Kastanien in der Hand hält und nicht mehr
Steine, ist das Gefahrenpotenzial tatsächlich vermindert.
Das Grenzensetzen hat eine Verbesserung gebracht. Die zwanghaften Handlungen
von Frau A., die früher, als sie noch in der WG Sedlitzkygasse wohnte, ihren sozi-
alen Handlungsspielraum sehr einschränkten, gehören weitgehend der Vergan-
genheit an. Damals mussten die Sessel im rechten Winkel zum Tisch stehen, auch
die DVDs mussten nach einer in ihrem Kopf existierenden Vorstellung geordnet
werden, früher war an ein Schlafengehen nicht zu denken. Um dieses zwanghafte
Verhalten zu brechen, musste sie von den Betreuungspersonen vorzeitig aufge-
fordert werden, in ihr Zimmer zu gehen, was sie lange nicht akzeptieren wollte.
Heute sitzt Frau A. oft relaxt auf der Couch und keine ihrer Handlungen erinnert
noch an ihre Zwangsneurose. In ihrer eigenen Wohnung, die sie in Ordnung hält
und wo sie sich oft aufhält, fühlt sie sich sichtlich wohl.
Herr K. hat seit meinem ersten Besuch vor drei Jahren ein wenig an Gewicht zu-
gelegt. Nach wie vor summt er gerne vor sich hin, drängt aber nicht mehr so stark
wie zu Beginn seines Einzuges in diese WG nach draußen. Dafür starrt er jetzt
öfter vor sich hin, wobei sein Blick unverwandt auf seine Fingerspitzen gerichtet
ist. Bei der Unterstützung pflegerischer Handlungen ist Herr K. meist sehr koope-
rativ. Das Essen bereitet ihm nach wie vor großes Vergnügen. Im Vergleich zu frü-
her hat sich sein soziales Handeln während des Essens verbessert. Früher verhielt
er sich oft ähnlich wie Frau E. und Frau F.. Diesmal konnte ich feststellen, dass ihn
das Essen und die Getränke der MitbewohnerInnen kaum mehr interessieren. Nur