Jahresbericht 2013 - page 39

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guten Kontakt hat sie aber zu ihrem Vater, den sie jeden Abend, so auch heute,
nach dem Abendessen anruft. Um den Anruf durchzuführen, bekommt sie das
tragbare Diensttelefon überreicht. Bevor sie mit ihm telefoniert, erzählt sie mir
noch von drei Teetassen, die sie von ihrem Vater geschenkt bekommen hat und
welche sie als ihr wertvollstes Geschirr betrachtet.
Als weitere Bewohnerin lerne ich Frau E. kennen. Die junge Frau lacht oft. Dabei
fällt das Fehlen der beiden oberen Schneidezähne unangenehm auf. Zusätzlich hat
sie erhöhten Speichelfluss und trägt daher einen kleinen Umhang, der den Spei-
chel aufnimmt und verhindern soll, dass ihre Kleideroberteile nass werden. Frau
E. ist ständig unterwegs, sie besucht gerne die Zimmer ihrer MitbewohnerInnen,
läuft den Gang entlang und setzt sich in der Wohnküche zwischendurch auf einen
niederen Heizkörper vor das Fenster. Von dort hat sie eine gute Übersicht über
das Geschehen in der Küche aber auch über die Vorgänge außerhalb der Woh-
nung, wo oft PassantInnen vorbeigehen.
Frau E. verbringt die Wochenenden regelmäßig zu Hause bei ihrer Familie. Sie
ist direkt von dort in die WG eingezogen. Alle glaubten anfangs, dass diese gro-
ße Lebensveränderung ein Problem für Frau E. darstellen wird. Doch Frau E. hat
sich von Anfang an in der WG sehr wohl gefühlt, und als ihre Eltern sie nach dem
ersten Wochenende mit einem etwas mulmigen Gefühl wieder in die WG zurück-
brachten, soll Frau E. ihre Mutter und ihren Vater noch im Vorraum aus der Tür
geschoben haben. Auf diese Weise teilte sie ihnen mit, dass es ihr hier in der WG
sehr gut gefällt.
Die Betreuungspersonen wissen auch, warum sich Frau E. hier in der Wohnge-
meinschaft wohlfühlt. Zu Hause wurde sie vom Kindesalter an überbehütet. Sie
wurde in eine Art Gehschule gesperrt, wenn ihre Mutter mal auf die Toilette oder
ins Bad gehen musste oder sie aus einem anderen Grund kurz aus den Augen las-
sen musste. Hier ist ein derartiger Freiheitsentzug nicht vorstellbar und so ist es
naheliegend, dass Frau E. die in der WG vorhandene größere Bewegungsfreiheit
sehr entgegenkommt.
Vor diesem Hintergrund ist auch nachvollziehbar, warum Frau E. es liebt in die
Zimmer der anderen BewohnerInnen zu gehen und dort herumzustöbern. Sie ig-
noriert jedes Anrecht auf Privatsphäre und Eigentum. Alles, was sie in der WG fin-
det, nimmt sie an sich, spielt ein wenig damit und lässt es dann wieder irgendwo
liegen. Die junge Frau schafft es sogar die Abdeckbleche von den Heizkörpern zu
nehmen und mit diesen zu lärmen, sodass die Betreuungspersonen diesem Trei-
ben Einhalt gebieten müssen.
Auch das Essen betrachtet Frau E. als lustiges Spiel. Sie nimmt es den Mitbewoh-
nerInnen vom Teller und trinkt ihre Becher leer. Das ist für sie alles selbstver-
ständlich und selbst, wenn ihr die BetreuerInnen in verschiedenen Tonlagen und
Lautstärken beibringen möchten, dass dies nicht geht, lächelt sie meist dabei und
ist sich keiner Schuld bewusst. Auch der Kochbereich gehört zu ihren Lieblings-
plätzen, weil sie dort viele Möglichkeiten vorfindet, etwas in den Mund zu bekom-
men. Wegen ihr musste der Küchenblock mit einer eigenen Konstruktion verrie-
gelt werden, da sie sogar ins heiße Fett gegriffen hat und dadurch ihre Gesundheit
gefährdete.
Dass Frau E. trotz ihrer großen Vitalität auch gesundheitliche Probleme hat, zeigt
sich gleich bei meinem Erstbesuch. So hat sie einen epileptischen Anfall, der ihren
Bewegungsdrang jäh unterbricht. Sie setzt sich auf den Boden, bleibt dort längere
Zeit sitzen und ist danach müde. Erst nach und nach erholt sie sich wieder von
diesem Anfall und geht zunächst langsam, dann bald schneller durch die verschie-
denen Räumlichkeiten der WG.
Beim Essen am Tisch geht Frau E. sehr schnell ans Werk. Als hätte sie schon ein-
mal Hunger gelitten, versucht sie ihre Portion auf dem Teller möglichst schnell
zu essen. Dabei fällt viel daneben und wenn sie, nachdem sie genug hat, ihren
Platz verlässt, finden sich sowohl am Tisch als auch am Boden viele Speisereste.
Nach dem Essen muss ihr Brustlatz gewechselt werden, weil dieser einen hohen
Verschmutzungsgrad aufweist.
Frau F., eine rund 40jährige Frau spricht nicht, registriert aber alle Vorgänge in
der WG ganz genau. Meist sehe ich sie mit einer CD in ihrer Hand mitten im Raum
stehen. Sie schwingt ihre Arme hin und her und es gefällt ihr offensichtlich sich im
Spiegel der CD zu sehen. Ab und zu stößt sie einen fröhlich klingenden Laut aus,
wenn sie sich in der CD wahrnimmt. Ich versuche mit ihr zu kommunizieren und
schiebe ihr eine zweite CD zu, doch Frau F. wirft die „falsche CD“ in weitem Bogen
von sich. Es fällt auf, dass sie es nicht mag, wenn am Boden etwas herumliegt. So
wirft sie diverse Gegenstände, die sie am Boden findet aus der Wohnküche hinaus
in den Gang. Danach stellt sie sich wieder breitbeinig hin, stemmt den linken Arm
in ihre Hüfte und fächert mit der CD in der Hand vor ihrem Gesicht hin und her.
Einmal halte ich ihr meine Hand zum Einschlagen hin, worauf sie sofort reagiert
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