Jahresbericht 2013 - page 41

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Ein weiterer sehr auffälliger Bewohner ist Herr W. Dieser junge Mann hält immer
ein Tuch in der Hand, das, wenn es zu nass ist, gegen ein neues ausgetauscht wird.
Die Nässe stammt von seinem Speichel, der unablässig aus seinem Mund rinnt. Da
er das Tuch oft in seinen Mund schiebt und daran nagt, kann auf diese Weise der
Speichel gut aufgefangen werden.
Herr W. ist ein fröhlicher Mensch, der immer wieder lacht und für andere unver-
ständliche Laute von sich gibt. Herr W. ist gehörlos. Er setzt sich gerne auf einen
Drehsessel und freut sich über die Drehbewegungen, die er einmal links, einmal
rechts ausführt. Freut er sich über etwas besonders, reibt er mit der Hand seinen
Hinterkopf. Er findet Gefallen daran, dass ich mich mit ihm beschäftige. Später
reicht er mir die Hand und führt mich in sein Zimmer im ersten Stock. Dort schiebt
er mich auf sein Bett und setzt sich neben mich. Offensichtlich will er, dass ich
mich weiter mit ihm unterhalte. Während des Spaziergangs hängt er sich bei mir
ein, was ihm die nötige Sicherheit gibt. Besonders interessiert ist er an Autos.
Später erfahre ich, dass er gerne Auto fährt. Herr W. hat einen guten Kontakt zu
seinen Eltern, die ihn regelmäßig über das Wochenende mit nach Hause nehmen.
Herr B. ist ebenfalls ein ruhiger und fröhlicher Bewohner der WG. In seinem Zim-
mer befinden sich viele Plüschtiere, die er mal in sein Bett und dann wieder in
den Einkaufswagen legt. Mit seinem kleinen Zoo macht er ab und zu eine Runde,
indem er den vollbeladenen Einkaufswagen durch die WG schiebt. Er lacht, wenn
ich das eine oder andere Plüschtier an mich nehme und forttrage. Er folgt mir auf
den Fuß und trägt es, sobald ich das Stofftier irgendwo in der WG absetze, wieder
zurück zum Einkaufswagen. Herr B. versteht viel Spaß. Beim Spaziergang bildet er
das Schlusslicht, er nimmt oft soweit Abstand, dass PassantInnen glauben können,
er gehört nicht zu dieser Gruppe von auffälligen Persönlichkeiten.
2013 - Drei Jahre später
„Ich komme gleichzeitig mit den meisten BewohnerInnen in der WG an und sehe
viele bekannte Gesichter. Nur Frau M., die anstatt von Frau D. in die Trainingswoh-
nung eingezogen ist, ist neu hinzugekommen. Sie bekomme ich heute nicht zu
Gesicht, weil sie erst spät nach Hause kommt.
Die erste Änderung ist, dass jetzt auch im ersten Stock eine Teeküche eingerichtet
worden ist und die BewohnerInnen, die in diesem Stock ihr Zimmer haben, dort
auch ihr Essen einnehmen. Diese Zweiteilung betrifft nur das Essen, ansonsten
steigen alle BewohnerInnen nach Lust und Laune die Stiege hinauf und hinunter.
Im ersten Stock wohnt Frau B., die 2010 einige Tage nach meinem Erstbesuch ein-
gezogen ist und die ich schon damals kennenlernen durfte. Sie kommt um 16.00
Uhr nach Hause und trinkt zunächst aus alter Gewohnheit im Parterre einen Kaf-
fee. Dann geht sie die Stiege hinauf, teilt auch oben der Betreuerin mit, dass sie
einen Kaffee will und schon trinkt sie ihren zweiten. Es gefällt ihr, dass ich neben
ihr sitze, während sie den Kaffee trinkt. Kaum ist sie damit fertig, schnappt sie
mich und zieht mich die Treppen hinunter in den Vorraum. Frau B. nimmt auf
der Sitzbank Platz. Sie zieht sich zuerst ihre Jacke und danach ihre Schuhe an.
Sie verlangt von mir, dass ich ihr die Schuhsenkel schnüre. Sobald sie fertig ange-
kleidet ist, geht sie Richtung Tür, die abgesperrt ist. Ich erkundige mich bei einer
Betreuungsperson, was jetzt zu tun ist. Die Betreuerin klärt mich auf, dass Frau B.
annimmt, ich sei ihr Einzelbetreuer. Also übernehme ich diese Rolle und verlasse
mit Frau B. die WG.
Kaum sind wir draußen läuft Frau B. einige Schritte voraus und richtet ihre Blicke
suchend auf den Boden. Plötzlich bückt sie sich, findet einen Zigarettenstummel,
schiebt ihn in den Mund und schluckt ihn hinunter. Schlagartig wird mir klar, dass
sie diese Angewohnheit schon vor drei Jahren hatte und noch immer nicht ab-
gelegt hat. Ich bin gewarnt und halte jetzt Schritt mit Frau B., doch trotz meiner
Proteste gelingt es ihr noch zweimal erfolgreich einen Tschick vom Boden aufzu-
nehmen und zu schlucken. Danach hakt sie sich bei mir unter, verlangsamt ihre
Schritte und macht bis zur Rückkehr in die WG keinen weiteren Versuch mehr
einen Zigarettenstummel zu verspeisen.
Im weiteren Verlauf des Abends verhält sich Frau B. völlig unauffällig. Sie trinkt
Kaffee, der mit Milch verdünnt wird. Eine Betreuungsperson, die Frau B. beim
Duschen assistiert, erzählt, dass Frau B. kaum mal krank ist, weil sie ihr Immun-
system mit ihrer besonderen Suchtabhängigkeit ständig herausfordert und viel
Bewegung macht. Auch beim Wäschewaschen macht sie gerne mit und hilft beim
Zusammenlegen der getrockneten Wäsche. Nach der Körperpflege werden ihr
eine Trainingshose und ein weites Hemd angezogen, der oberste Knopf ist offen.
Ich mache ihn zu, weil sonst ihr Busen zu sehen ist. Sie kann das Essen kaum er-
warten, wird gegen 18.00 Uhr ziemlich unruhig, isst dann aber nicht viel, obwohl
es ein schmackhaftes „Reisfleisch mit Salat“ gibt.
Nach dem Essen zieht sie mich in ihr Zimmer und legt sich ins Bett. Aus dem Klei-
derschrank holt sie das Nachthemd und deutet damit wohl an, dass ich ihr das
anziehen soll. Sie will auch noch ins Bad, um ihre Zähne zu putzen, weil ich mich
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