Jahresbericht 2013 - page 24

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es oft nicht erwarten bis das Wasser durch ist und füllt vorzeitig sein bereitgestell-
tes Häferl mit frischem Kaffee. In der Zwischenzeit tropft das Wasser unaufhörlich
weiter und hinterlässt eine braune Lacke am Küchenkasten. Aufmerksame Betreu-
ungspersonen sind genau in solchen Momenten zur Stelle und bitten Herrn F. zu
warten bzw. fordern ihn auf die Verunreinigung zu beseitigen.
Dass in Zukunft im Kühlschrank für alle BewohnerInnen kleine Vorratsbehälter
mit ihrer Nachmittagsjause vorbereitet werden, ist ein weiterer wichtiger Schritt
in Richtung Autonomie. Einige BetreuerInnen meinen, dass Frau R. dieses System
zum Kippen bringen wird. Einen Versuch ist es allemal wert.
Die hohe Mobilität eines Teils der BewohnerInnen der WG macht es möglich, dass
diese, wann immer sie wollen, selbständig oder in Begleitung die WG verlassen
und spazieren gehen oder, wenn es ihre finanziellen Verhältnisse zulassen, ein Lo-
kal aufsuchen. Im Rahmen der Einzelbetreuung und des Besuchsdienstes, den alle
BewohnerInnen in mehr oder weniger großen Abständen in Anspruch nehmen,
stehen lange Fahrten, Spaziergänge, Besuche von Museen und Kaffeehäusern auf
dem Programm. Für die meisten BewohnerInnen stellen solche begleiteten Un-
ternehmungen den besonderen Höhepunkt der Woche dar. Aus dem Protokoll:
„Herr F. freut sich auf Samstag: ‚Da kommt die A., die den Besuchsdienst macht.
Wir schauen uns ein paar Bilder an und dann gehen wir in ein Lokal, wo es ein
gutes Gulasch gibt.‘“
Frau N. und Frau D. besuchen an einem Abend pro Woche einen Tanzkurs. Sie
freuen sich auf diesen wichtigen Termin und sind traurig, wenn er mal ausfällt.
Bereits vor vier Jahren waren beide Damen dabei, ihre Begeisterung ist nach wie
vor ungebrochen.
Eine überaus positive Besonderheit dieser WG ist das hohe kreative Potenzial
der Betreuungspersonen und BewohnerInnen. So gibt es im Wohnzimmer einige
Musikinstrumente, die im Alltag auch eingesetzt werden. Eine Betreuungsperson
setzt sich zu einem Bewohner und spielt ihm einige Lieder, die er sich selbst aus-
sucht, vor. Es wurde sogar eine sehr professionelle CD, die auf Youtube gestellt
worden ist, mit den BewohnerInnen produziert. Gemeinsam werden Weihnachts-
lieder und der WG-Hit mit dem Titel „A supa WG“ gesungen. An Samstagen wird
oft ein Disco-Abend mit passender Musik aus den 70er und 80er Jahren organi-
siert, der den BewohnerInnen große Freude bereitet.
An Wochenenden finden oft Mal- und Bastelstunden statt. Die Ergebnisse der
kreativen Arbeit schmücken die allgemeinen Räume der WG. Ein Jahreskalender
enthält alle Geburtstagsdaten der BewohnerInnen, was diese sehr schätzen.
Lustige Urlaubsaktionen auf einem Bauernhof in Oberösterreich und gemeinsame
Wochenendeausgänge runden das abwechslungsreiche Aktivitätsangebot ab.
Materielles Wohlbefinden
Auf Schritt und Tritt ist der Alltag der BewohnerInnen mit Einschränkungen ver-
bunden, die sich aus einer knappen finanziellen Situation ableiten lassen. So wer-
den zum Beispiel die Zigaretten rationiert, was zwar einen gesundheitsfördernden
Aspekt hat, der aber von den BewohnerInnen keinesfalls so gesehen wird. Herr
F. wäre zufriedener, wenn er nicht nur jede Stunde sondern öfters eine Zigarette
rauchen könnte. Das Einkommen der BewohnerInnen reicht nicht aus, um ein un-
gezügeltes Rauchen zu ermöglichen. Selbst bei der neuen Mitbewohnerin wird es
wahrscheinlich zu einer Rationierung der Zigaretten kommen müssen.
Frau N. geht gerne spazieren, lieber aber würde sie jeden Tag Schokolade kaufen
und ins Café gehen. Weil sie sich diese Wünsche nicht leisten kann, wurden mit ihr
Kaffeehausbesuchstage vereinbart. So darf sie jeden zweiten Tag ins Café gehen.
Weil sie aber während eines Spaziergangs nicht widerstehen konnte und sich eine
Schokolade kaufte, musste ein Kaffeehausbesuch gestrichen werden. Frau N. hat
sich mit dieser Reglementierung überraschend gut arrangiert.
Herr F. hat ebenfalls nur wenig Geld zur Verfügung. Einmal hatte er für die Be-
zahlung eines Kaffees, den er in einem nahegelegenen Restaurant getrunken hat,
zu wenig Geld in der Tasche. Der Kellner drohte mit der Polizei, worauf Herr F.
entsetzt dieses Lokal verlassen hat. Als er in der WG von diesem Schockerlebnis
erzählte, wurden seine Schulden mit ihm gemeinsam beglichen, doch seither mei-
det Herr F. diese, wie er sagt, unfreundliche Gaststätte.
Die finanziellen Möglichkeiten bestimmen auch die Häufigkeit der Zusatzdienste.
So müssen sich Frau N. und Herr F. mit einem vierzehntägigen Rhythmus zufrieden
geben. Alle zwei Wochen, meist am Samstag bzw. Sonntag, werden diese beiden
von einer jungen bzw. älteren Dame besucht, mit der sie jeweils zwei bis vier
Stunden unterwegs sind. Die dichtesten Besuchsdienstintervalle hat Herr C., was
mit seinen größeren finanziellen Möglichkeiten zusammenhängt. Alle anderen
BewohnerInnen haben wenigstens alle zwei Wochen einen Besuchsdienst.
Frau N., die in bestimmten Zeitabständen ihren Zahnersatz verliert, muss dann
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