Jahresbericht 2013 - page 25

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immer einige Monate ohne dritte Zähne auskommen, weil ihre finanzielle Lage es
nicht möglich macht, sofort ein neues Gebiss zu besorgen.
Die BewohnerInnen der WG Sedlitzkygasse sind gut zu Fuß. Sie fahren mit dem
Fahrtendienst in die Tagesstruktur, könnten aber auch in Begleitung öffentlich
fahren und haben daher keinen Anspruch auf einen kostenreduzierten Freizeit-
fahrtendienst. Für Freizeitfahrten sind sie wie andere auch auf öffentliche Ver-
kehrsmittel oder auf Taxis angewiesen. Frau D. und Frau N. werden, weil sie ohne
Begleitung nicht mit der U-Bahn fahren können, jeden Donnerstag von einer Be-
treuungsperson zum Tanzkurs begleitet. Dieser Weg nimmt mit den öffentlichen
Verkehrsmitteln fast eine Stunde Fahrtzeit in Anspruch. Retour werden die beiden
Damen mit einem unter dem Taxipreis liegenden speziellen Fahrtendienst gefah-
ren. Für diese Fahrt wurde ein Fixpreis von 16 € vereinbart.
Die BewohnerInnen fühlen sich in ihren Zimmern durchwegs wohl. Herr A. freut
sich auf ein neues Bett, das sich Herr A. in einem Katalog ausgesucht hat. Auch
Frau R. bekommt ein stabiles Bett. Bisher musste sie mit einer Matratze vorlieb
nehmen, weil sie schon wiederholt den Lattenrost zerbrochen hat, wenn sie sich
allzu beschwingt in ihr Bett legte. Das Zimmer von Frau A. wurde schallgedämmt,
an Wänden und Gegenständen dominiert nach wie vor die Farbe rosa. Für jeweils
zwei BewohnerInnen gibt es einen gemeinsamen Nassraum. Vor allem für Herrn
C., aber auch für die anderen BewohnerInnen steht das große Badezimmer mit
dem Pflegebad zur Verfügung. Die Terrasse wird von den RaucherInnen gerne ge-
nutzt.
Die meisten BewohnerInnen kommen im Jahr auf zwei Urlaubswochen, einmal
fahren sie mit der WG weg und einmal mit der Tagesstruktur, wo sie beschäftigt
sind.
Emotionales Wohlbefinden
Insgesamt ist für das emotionale Wohlbefinden weniger die Anzahl der sozialen
Kontakte, sondern die Qualität der Beziehungen entscheidend. Grundsätzlich fällt
es BewohnerInnen, die fähig sind, ihre Bedürfnisse zum Ausdruck zu bringen, was
oft mit der Möglichkeit einer verbalen Kommunikationsfähigkeit verbunden ist,
leichter, emotionales Wohlbefinden herzustellen als anderen, die diese Voraus-
setzung nicht mitbringen. Dieser Zusammenhang lässt sich am Beispiel der Be-
wohnerInnen der WG Sedlitzkygasse gut belegen. Die wiederholt getestete These,
wonach die Qualität der familiären Beziehungen sich positiv bzw. negativ auf das
emotionale Wohlbefinden auswirkt, lässt sich, wie die folgenden Ausführungen
zeigen werden, ebenfalls bestätigen. Hier wird demnach der Frage, welche Be-
reiche emotionalen Wohlbefindens von den Betreuungspersonen gut abgedeckt
werden und wo es weiterer Anstrengungen bedarf, nachgegangen.
BewohnerInnen ohne familiäre Beziehungen
BewohnerInnen, die keine Beziehungen zu engen Familienangehörigen haben, re-
agieren, was Fragen der Zuwendung betreffen, besonders sensibel. Ein geradezu
idealtypisches Beispiel repräsentiert in der Wohngemeinschaft Frau N., die einige
Strategien entwickelt hat, um Zuwendung zu erlangen.
Als Frau P. ihren Winterurlaub antrat und an den Tagen davor die Betreuungsper-
sonen mit ihr darüber geredet haben, mischte sich wiederholt Frau N. ein und
erzählte ihrerseits von ihren in diesem Jahr geplanten Urlauben. Ist jemand in
der WG krank und bekommt dadurch mehr Zuwendung als üblich, hat auch Frau
N. Schmerzen. Einige Betreuungspersonen vermuten sogar, dass ihr stets wieder-
kehrendes Muster der Entsorgung ihrer Zahnprothesen mit ihrem emotionalen
Wohlbefinden in Zusammenhang steht. Hat Frau N. keine dritten Zähne mehr, re-
gistrieren das alle Betreuungspersonen und sie bekommt entsprechend viel Auf-
merksamkeit. Von Frau N. kommt auch am häufigsten die Frage, wer heute Dienst
hat, was als weiterer Faktor für das typische Verhaltensmuster der Personengrup-
pe ohne familiäre Anbindung gilt.
Da Frau N. im Alltag immer Lob und Anerkennung braucht, nimmt sie fast jede
Bitte und jeden Arbeitsauftrag von Betreuungspersonen an. So hilft sie beim Ko-
chen gerne mit, sie deckt auch auf und freut sich über das damit verbundene Lob.
Außerdem wird während des gemeinsamen Arbeitens viel miteinander kommuni-
ziert, was ihr ebenfalls sehr entgegen kommt.
Zusätzlich versteht es diese Bewohnerin auch, gut und schnell neue Kontakte
zu knüpfen. So kommt es nicht von ungefähr, dass mich Frau N. (und in ihrem
Schlepptau Herr F.) gleich vom ersten Tag an zu einer Runde um den Häuserblock
eingeladen hat und diese Einladungen im Laufe meines Aufenthaltes jeden Tag
wiederholte. Auf diese Weise organisierte sich Frau N. von mir während meines
Aufenthaltes die meiste Zuwendung. Sie hat gelernt, die Gunst der Stunde gut zu
nützen. Frau N. hat es auch geschafft die besondere Zuwendung von Herrn F. zu
gewinnen, was diesem aber manchmal zu viel ist. Sie geht mit ihm spazieren, be-
sucht mit ihm Kaffeehäuser und in der WG bittet sie ihn immer wieder um Kleinig-
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