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kann nicht die Empathie oder den Respekt ersetzen. Wie aber die
Arbeit in der Wohngemeinschaft umgesetzt wird, da kommen
noch andere Faktoren dazu, die man durch das Qualitäts-
management -System nur schwer greifen oder bestimmen kann.
Eine kleine Beschwerde bitte!
Die Befürchtung der Mitarbeiter ist sicher, dass es da um viel
Schreibkram geht, um Verbürokratisierung und um Dokumentation –
das ist die Angst. Doch wenn es klug gemacht ist, muss es nicht
unbedingt mehr Arbeit sein. Wenn unser neues Computer-
programm eingeführt ist, dann ist das relativ schnell erledigt und
kann sogar Zeit sparen. Aber zunächst braucht es einmal Zeit, bis
sich jeder mit dem Computer auskennt, bis jeder die innere
Hemmschwelle überwunden hat und es muss schnell zugänglich
sein. Das sind im Augenblick die Hürden, die die Mitarbeiter
beschäftigen. Aber sonst denke ich mir, wenn man es schlank
halten kann, dann muss die Sorge mit der vielen Dokumentation
nicht zum Tragen kommen. Es kommen auch von außen neue
Dokumentationen dazu, zusätzlich zu unserer Installation des
Qualitätsmanagement -Systems. So gibt es Ansprüche der
Gemeinde bzw. Magistratsabteilungen. Thema sind derzeit
Hygienestandards.
Aber diese verstärkten Anforderungen von außen können auch
damit zu tun haben, dass auch diese Stellen ihr Qualitätsmanage-
ment leben und man sich absichern und vorbeugend tätig sein
möchte. Bei den Begehungen der MA 40 bin ich dabei. Vertreter
der Magistratsabteilungen besuchen unsere Einrichtung und es sind
auch andere Magistratsabteilungen mit eingebunden, z.B. die
Feuerwehr, die Technik, dann ein ärztlicher Dienst, sozialpäda-
gogischer Dienst – hier werden in regelmäßigen Abständen unsere
Standards überprüft. Bei einer neuen Einrichtung ist das eine
Riesentruppe, da werden alle Befunde überprüft, ob es z.B. überall
Seifenspender gibt, die mit den Ellenbogen zu bedienen sind,
ob Türen richtig schließen, ist die medizinische Dokumentation in
Ordnung, wie ist die Aufbewahrung der Medikamente und so fort.
Und natürlich gibt es dann während des laufenden Betriebes
Nachkontrollen durchaus auch mal nach dem Zufallsprinzip.
Daraus resultierend kann es durchaus Vorgaben für
Verbesserungen geben.
Wir haben auch ein gutes System, falls Mitarbeiter anonym
Missstände melden wollen. Und wir haben auch ein gutes
Beschwerdesystem oder die Möglichkeit Verbesserungsvorschläge
einzubringen. Dies funktioniert über die Hierarchien hinweg, und
ist also durchlässig und transparent. Aber das Wort „Beschwerde“
ist so negativ besetzt, dass ich immer Werbung dafür machen
muss. Ein Qualitätsmanagement -System lebt von Beschwerden,
denn Beschwerden implizieren Verbesserungschancen! Und das
hält ein Qualitätsmanagement -System in Schwung und Be-
schwerden geben dem Qualitätsmanagement -Rad einen Schubs.
Wenn ich eine Beschwerde bekomme, dann freue ich mich.
Am Anfang hat das sehr gut funktioniert, aber wenn ich jetzt nicht
daran erinnere, dann schläft es wieder ein. Man muss dran
bleiben. Wenn ich dann höre, dass jemand was verändern will,
dann sage ich immer, dann bringt doch bitte einen
Veränderungsvorschlag ein oder eine kleine Beschwerde!
Das wird sicher dieses Jahr noch Thema sein. Wichtig ist es,
Problembewusstsein als positiv zu erleben! Und da geht es nicht
darum, jemanden auf schön wienerisch zu „vernadern“!
Für allerhand Zwecke gibt es auch die Formulare. Das beginnt bei
einer Einarbeitungscheckliste für neue Mitarbeiter. Sie wird zum
Beispiel von allen als hilfreich erlebt. Medizinische Dokumentation
ist tägliche Pflicht und muss penibel ausgefüllt werden. Das muss
zu 100% funktionieren. Ein neuer Mitarbeiter wird eigentlich sehr
bombardiert von uns und es gibt im ersten Jahr drei Mitarbeiter-
gespräche: nach der Probezeit, dann nach drei Monaten und
dann am Ende des ersten Jahres. Neue MitarbeiterInnen sind also
von Anfang an ziemlich eingebunden. Und das Qualitäts-
management -Handbuch muss natürlich auch jeder lesen. Das erste
Handbuch war übrigens ein Klosterbuch. Es waren die „Regeln
des Heiligen Benedikt“, in denen das Klosterleben, also das
Zusammenleben der Mönche genau festgelegt war.
Selbstbestimmung ist oberstes Ziel
Für mich haben sich die Erwartungen, die ich in das Projekt
Auftakt gesteckt habe, erfüllt. Wir sind alle Individualisten und wir
ergänzen uns. Das ist eine ziemlich gute Mischung. Wenn ich
jetzt so auf Auftakt schaue, dann denke ich, dass wirklich viel
geschafft ist. Auch die Darstellung von außen ist sehr gut.
Natürlich gibt es immer wieder Schwierigkeiten und Diskussionen,
aber das Endergebnis passt und jeder hat auf seine Art und
Weise dazu beigetragen. Früher hat mich immer die Pionierarbeit
interessiert, diese stürmische Zeit ist jetzt vorbei. Es geht bei
Auftakt sicher um Erhalt und Weiterentwicklung unserer Qualität in
den nächsten zehn Jahren und wenn man weit in die Zukunft
blickt, dann werden schon einige von uns in Pension sein.
Ich denke mir, für Auftakt sind die Schienen gelegt. Wenn sich
das jetzt weiter verbessern lässt – super, solange die Finanzen
stimmen. Das ist natürlich genau der Bereich, wo niemand sagen
kann, wie es sich weiterentwickelt. Der Behindertenbereich steht
wahrscheinlich noch immer ziemlich gut da im Vergleich zu
anderen sozialen Bereichen. Daher ist schon meine Hoffnung,
dass wir den Level halten oder verbessern können - zumindest in
den nächsten zehn Jahren. Darüber hinaus traue ich mich gar
nicht schauen! Außerdem hoffe ich, dass wir weiterhin unkonven-
tionelle, individuelle Lösungen finden. Ich denke, das können wir
gut. Was ich mir als Vision wünschen würde - das wäre toll -
wenn man schon von Normalisierung redet, wenn man sagen
könnte, dass in 20 Jahren die „behindernden“ Bundesländer-
grenzen gefallen sind und der Klient entscheiden kann, ob er in
Salzburg lebt oder in Vorarlberg oder in Wien. Das Wohn-
angebot und das Arbeitsangebot sind so groß, dass sich ein
Klient wirklich entscheiden kann, wo er lebt und arbeitet.
Selbstbestimmung ist noch immer eines der obersten Ziele.
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