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Der dritte Apfel
Der Zugang zur Arbeit hat sich im Lauf der Jahre verändert:
von uns - der Organisation her - und auch von den
Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Wir haben das
Qualitätsmanagement und die ISO -Zertifizierung gemacht
und damit eine gerade Linie reingebracht in unsere Arbeit:
was habe ich zu tun, was schreib ich wann wo rein und dann
ist es erledigt. Und dann kommt: alles, was außerhalb liegt,
dafür bin ich vielleicht gar nicht mehr zuständig!? Und je
formaler wir das vorgeben, umso enger wird es auch für die
Mitarbeiter und wenn das dann gerade zusammenfällt mit
Jungen, die gerade von der Schule kommen und dort auch
viele formale Vorgaben gelernt haben, dann kann schnell das
Gefühl aufkommen, man kann einzelne Klientinnen und
Klienten nicht mehr betreuen, weil der Klient passt dann auf
einmal nicht mehr rein, es wird alles zu unflexibel und man
vergisst damit den Mensch im Mittelpunkt! Das ist natürlich
nicht immer so. Ich formuliere das jetzt überspitzt: wir sollten
wachsam bleiben und uns von vorgegebenen Abläufen und
Formulierungen nicht zuviel einschränken lassen. Denn alle
Qualitätsprozesse, die ja aus der Industrie ursprünglich
kommen, haben Auswirkungen auf die Organisation und den
Menschen. Es muss wieder persönlicher werden. Wir müssen
auch an unser gutes Image denken, das wir haben: dass wir
klein sind, flexibel sind und auch Leute nehmen, bei denen
andere schon die Finger davon lassen!
Im Moment habe ich auch das Gefühl, dass das Geld weni-
ger wird. Da muss man viel effektiver und effizienter werden.
Qualitativ nach außen und dokumentierbar nach außen wird
es nicht schlechter werden. Im persönlich menschlichen Bereich
wird es schlechter werden. Der Wettbewerb wird stärker wer-
den. Der Umgang mit den Geldgebern wird härter, wenn ich
an das Beispiel mit den Vormerklisten denke. Wenn da einer
draufsteht, müssen wir ihn betreuen, ob er in unsere
Wohngemeinschaft passt oder nicht. Die Betreuung wird also
abgehandelt werden. Und das in einer Qualität, wo man fest-
machen kann, wie viele Betreuer sind im Dienst, wie viele
Stunden arbeiten sie, wie oft haben sie Medikamente
gegeben. Das wird man auch immer mehr argumentieren müs-
sen, damit man noch Geld bekommt. Aber ob dann der Klient
sich noch einen dritten Apfel nehmen darf, wenn es nicht in
der Liste steht!? Es läuft also alles in Richtung Administration
der Behinderten. Oder man schert komplett aus und denkt
über ganz alternative Betreuungsformen nach.
Wenn die Finanzkrise länger anhält, dann kann das durchaus
einmal so werden, wie das in einigen Bundesländern schon
ist, dass sich die öffentliche Hand immer mehr aus der
Verantwortung stiehlt. Wenn jemand eine Betreuung braucht,
dann müssen sich die Anverwandten eben darum kümmern.
Oder eben dafür bezahlen. Wenn man mehr Geld zahlt,
wird man besser betreut und wenn man weniger Geld hat,
wird man weniger gut betreut. Das wäre aber das absolut
schlimmste Szenario. Würde ich mir was wünschen dürfen:
dass Wien so bleibt wie es ist, weil Wien einen hohen
Sozial -Standard hat und weil viel möglich ist.
Für meinen Arbeitsplatz bei Auftakt wünschte ich mir, dass er
so bleibt, weil mir der direkte Kontakt mit den Leuten Spaß
macht, ob das nun im Vorfeld ist, bei einer Aufnahme oder im
Krisenfall. Das brauche ich ganz einfach – den Kontakt zu den
Menschen und sei es auch nur aus der Ferne, wenn ich dann
einige Zeit nach dem Einzug höre, dass es wem gut geht,
dass „er sich entwickelt“.