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es ist nicht nur Gerede, es wird konkret eingefordert, die
Kontrollen, die wir haben, sind wirklich gezielt, auch im Sinne
der Leistungserbringung.
Es gibt nur mehr befristete Förderzusagen. Auch da werden die
Ansprüche höher und wir müssen erklären, wie es weiter gehen
soll und warum. Das erhöht die Geschwindigkeit. Immer mehr
Forderungen werden an uns gestellt, administrativer, aber auch
inhaltlicher Art. Das verändert die Arbeit auch für die
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Die Dokumentations-
anforderungen sind sehr gestiegen. Früher haben wir halt hand-
schriftlich Dienstbuchaufzeichnungen gemacht und haben
reingeschrieben, was an diesem Tag so war. Heute ist die
KlientInnendokumentation auch vom Datenschutz her viel
reglementierter. Es werden für alle sowohl Tagesberichte
gemacht als auch zielbezogene Aufzeichnungen und wir müs-
sen auch darauf achten, dass diese Aufzeichnungen jederzeit
extern kontrolliert werden können. Ich glaube, dass diese
Anforderungen in den nächsten Jahren noch steigen werden
und uns damit durchaus auch herausfordern, die Balance nicht
zu verlieren zwischen Alltagsleben - da passiert ja sehr viel
situativ, sehr viel über Beziehung - und der Darstellung nach
außen, damit wir rechtfertigen können, dass wir mit dem uns
anvertrauten Geld möglichst gute Arbeit, effiziente Arbeit leisten.
Das Berufsbild hat sich auch professionalisiert, im Positiven wie
auch im Negativen. Früher war das Berufsspektrum der Leute,
die in der Behindertenarbeit tätig waren sehr breit gefächert,
und es waren viele Leute mit unterschiedlichster Lebenserfahrung,
aber ohne Ausbildung in dem Bereich tätig. Viele dieser
Menschen standen mit ihrer Person hinter den selbstgesteckten
Zielen. Wenn sie dann damit an die Grenzen der Organisation
stießen, dann war das erst interessant.
Heute mit den hohen Anforderungen an Ausbildung, die ja
grundsätzlich positiv ist, ist es so, dass viele Leute nach der
Ausbildung kommen und dort auch gelernt haben, dass es
darum geht, sich nicht voller Idealismus in die Arbeit zu stürzen,
sondern einen guten Job zu machen, aber eben einen Job.
Daher grenzen sie sich auch klar ab. Die Tendenz in unserer
Arbeit geht immer mehr in Richtung individueller Leistungs-
erbringung, KundInnenorientierung und Mitbestimmung.
Das ist auf Grund unseres Klientels ein wenig schwierig. Die,
die Sozialkompetenz oder die Sprachkompetenz hätten, die
haben in der Regel kein Interesse daran, und die, die vielleicht
Interesse hätten, was ich aber gar nicht beurteilen kann, haben
sowohl die soziale als auch die verbale Kompetenz nicht.
Daher haben wir auch keine BewohnerInnenvertretung, wie das
andere Organisationen haben.
Vom fehlenden Mut
Dies bedeutet in Zukunft sicher auch individualisierte Abgeltung
der Leistungen auf Grund des individuellen Bedarfs. Ich hoffe
nur, dass bei der Beurteilung des Bedarfs die Kompetenzen im
Vordergrund stehen und nicht die Defizite. Ideen dazu gäbe es,
ob das Leistungsmodule sind, deren Inhalte sich an der
Kompetenz orientieren, Verantwortung für das Leben selbst zu
übernehmen oder ein persönliches Budget für alle. Nachteile
haben sie auch alle. Es braucht ein wenig Mut, Entscheidungen
zu treffen. Ich hoffe, die Politik hat endlich diesen Mut, in die
Zukunft zu schau’n. Mir fehlt das politische Konzept, die Vision,
wo sollte die Behindertenarbeit in Wien zum Beispiel in zehn
oder 15 Jahren stehen, also wo soll’s denn hingehen?
Man stellt also zum Beispiel nicht in Frage, ob es überhaupt
sinnvoll ist, in zehn Jahren noch Wohngemeinschaften zu haben,
wo elf Leute zusammen wohnen. Ist das eine sozial normale
Form des Wohnens? Ist es gerechtfertigt, dass nur aufgrund des
Betreuungsbedarfs sich entscheidet, ob jemand in eine
Wohngemeinschaft kommt oder das Recht hat, in einer
Einzelwohnung zu leben? Diese Fragen werden zumindest nicht
laut gestellt. Da müsste man meiner Meinung nach hin: Wohnen
und Betreuung grundsätzlich zu trennen. Jeder Mensch darf den
Anspruch haben, so leben zu können, wie er es sich vorstellt:
die einen eben einzeln, die anderen eben in kleinen Gruppen.
Und in dieser Wohnform sollte die Betreuung angeboten
werden, die die einzelne Person braucht.
Pragmatisch gesehen wird für den gesamten Bereich immer
Geld da sein, denn allen Beteiligten inklusive Politikern ist klar,
dass es sich hier um eine Personengruppe handelt, die man
unterstützen muss, die man nicht einfach so leben lassen kann.
Insofern ist also klar, da wird immer Geld zur Verfügung gestellt
werden müssen. Es ist ja auch keine Personengruppe, die rasant
wächst wie zum Beispiel der Alten- und Pflegebereich, wo man
bereits die Sorge hat, wohin sich das entwickeln wird. Es ist hier
recht überschaubar. Für die Zukunft würde ich mir wünschen,
dass unsere wirtschaftliche Basis weiter so abgesichert ist, dass
man wirklich anspruchsvoll arbeiten kann. Dass es also keine
Einschnitte gibt, die uns zwingen Sachen zu machen, zu denen
wir nicht mehr stehen können.
Außerdem wünsche ich mir, dass wir alle sieben Gesellschafter,
so wie ich mir das von Anfang an erwartet habe, genug
Energie haben, gemeinsam Visionen umzusetzen bzw. daran zu
arbeiten. Ich schätze ja alle Personen, die es hier gibt, ich sehe
auch ihre Qualitäten. Ich hoffe, dass es uns noch mehr gelingt,
diese Qualitäten so einzusetzen, dass sie sich gegenseitig
ergänzen und verstärken.