Jahresbericht 2013 - page 54

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Lebensstandard
Trotz der Übersiedlung aus einer Top-Wohnruhelage am „Steinhof“ in die Niede-
rungen des 3. Bezirks hat sich der Lebensstandard der BewohnerInnen und somit
ihre Lebensqualität deutlich verbessert. Alle BewohnerInnen haben, einige das
erste Mal in ihrem Leben, ein eigenes Zimmer, das sie nach ihren Vorlieben und
Gutdünken einrichten und in das sie sich jederzeit zurückziehen können. Die Be-
tonung der individuellen Bedürfnisse spiegelt sich in den Zimmereinrichtungen
wider, keines ist gleich eingerichtet. Frau A.s mit bunten Farben ausgemaltes Zim-
mer ist dominiert von einer Hängematte, die sie häufig benutzt. Ansonsten ist
das Zimmer, was ihrer Persönlichkeit entspricht, eher spartanisch eingerichtet.
Frau O.s Zimmer hingegen ist vollgeräumt mit verschiedenen Möbeln. Auf ihrem
Schreibtisch liegen Zeitschriften, es gibt eine umfangreiche DVD Sammlung mit
einem Player und einen TV-Apparat. Auch die übrigen Zimmer entsprechen den
Bedürfnissen der jeweiligen BewohnerInnen. Eine Kochgelegenheit und ein eige-
ner Nassraum ermöglicht dort eine größtmögliche Förderung der Autonomie.
Mit verschiedenen technischen Umbauten wird alles unternommen, um für alle
BewohnerInnen eine hohe Wohnqualität zu gewährleisten. So wurden die Heiz-
körperabdeckungen ausgepolstert, um das störende Lärmen einer Bewohnerin zu
verhindern. Der Küchenblock wurde mit einer Absperrung vor dem unbefugten
Zutritt der BewohnerInnen gesichert. Vorher bestand große Verletzungsgefahr
und das Kochen in Anwesenheit vieler BewohnerInnen, die sich um den Herd
drängten, war eine große Herausforderung. Ebenso wurden der früher vor allem
für Therapien genutzte Raum zum zweiten Speisezimmer und der kleine Raum da-
neben zu einer kleinen Teeküche umgebaut. Nunmehr ist es möglich die Bewoh-
nerInnen im ersten Stock selbstständig zu versorgen, ohne jedes Mal in die Küche
im Parterre laufen zu müssen. In beiden Speiseräumen gibt es Sitzmöbel und je-
weils einen Fernseher, der allerdings von den BewohnerInnen kaum genützt wird.
Ein Minus in puncto Lebensqualität macht die Abhängigkeit der meisten Bewoh-
nerInnen von Fahrtendiensten aus. Während Frau M. und Frau A., die in den Trai-
ningswohnungen leben und sehr selbstständig sind, sich nach dem Frühstück fer-
tig machen und die WG verlassen, um ihre jeweiligen Arbeitsorte zu erreichen,
müssen sich die anderen BewohnerInnen gedulden. Manche warten eine Stunde
im Vorraum, was sehr unangenehm ist und auch nicht der geforderten Normali-
sierung entspricht.
Frau A. kennt zwar den Weg zu ihrer Tagesstruktur, den Weg zur jeden Freitag
stattfindenden Gesprächsrunde findet sie jedoch alleine nicht. Dabei ist sie auf
die Freizeitfahrtendienste angewiesen, die sie hin- und retourbringen. Nicht sel-
ten gibt es dabei Verspätungen und lange Wartezeiten.
Dass bei den Fahrtkosten gespart werden muss, zeigt auch das Beispiel von Frau
O., die jeden Freitag mit dem Taxi zur Therapie gefahren wird, was im Monat € 50
ausmacht und in den Augen ihres Sachwalters eigentlich zu teuer ist. Jedenfalls
geht sich pro Woche finanziell nur ein Besuchsdienst mit 15 € pro Stunde aus.
Frau O. freut sich auf diesen Besuch, da es sich um eine junge Dame handelt, die
aus China stammt und sich mit Frau O. in ihrer Muttersprache unterhalten kann.
Die Versorgung der BewohnerInnen mit ansprechender Kleidung macht kaum
Probleme. Dass Frau E. nach wie vor eine große Zahnlücke hat, ist mehr ein tech-
nisches als ein finanzielles Problem. Frau E. würde allerdings eine Einzelbetreuung
gut tun. Das sehen die BetreuerInnen so, nicht aber ihre Eltern.
Emotionales Wohlbefinden
„Als Kinder sind sie ins Spital gebracht aber leider nie mehr abgeholt worden. Am
langen Warten sind wohl einige zerbrochen, das zeigen ihre auffällig versteinerten
Gesichtszüge. Diese unterscheiden sich eindeutig von den BewohnerInnen, die
von zu Hause in die WG gekommen sind. Die Augen der BewohnerInnen, die vom
OWS zu uns gekommen sind, leuchten nicht, diejenigen, die von zu Hause gekom-
men sind, haben das Leuchten.“ (Aussage einer Betreuerin im Jahre 2010)
Diese Einteilung der BewohnerInnen in eine Gruppe mit leuchtenden Augen und
in eine zweite Gruppe, deren Augen nicht leuchten, trifft auch noch nach drei
Jahren zu. Dieses auffällige Unterscheidungsmerkmal zeigt deutlicher als alles an-
dere, dass die BewohnerInnen, die aus dem OWS in die WG umgezogen sind, im
Laufe ihres Lebens zu wenig Zuwendung erfahren haben.
Eine Betreuungsperson stellte dazu während der Übersiedlung der BewohnerIn-
nen folgende Überlegungen an: „Vielleicht warteten sie im OWS darauf abgeholt
zu werden und litten darunter, weil niemand gekommen ist. Wir möchten ihnen
das Gefühl geben, dass sie jetzt abgeholt worden sind. Hier dürfen sie ein Essen
auch ablehnen, ja selbst auf den Boden werfen. Sie dürfen ihre individuellen Cha-
rakterzüge schärfen und erfahren, dass ihr Nein akzeptiert wird.“
Mit dieser wertschätzenden Grundeinstellung den BewohnerInnen gegenüber
wurde in der WG Karree St. Marx von Anfang an versucht die Augen aller Bewoh-
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