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mit einer Hälfte Toast das Auslangen finden. Zwar möchte sie mehr, aber da alle
BewohnerInnen zunächst nicht mehr bekommen, steht sie auf, trägt den Teller zur
Spüle und verlässt die Küche. Jetzt bekommt Herr A. einen Nachschlag. Er soll viel
essen, da er in den letzten Monaten an Gewicht verloren hat.
Später kommt Frau R. nochmals in die Küche und schnappt sich einen Bissen von
einem vorbereiteten Toast, verlässt aber nach einer kleinen Rüge sofort wieder
den Raum. Bei einem zweiten Besuch in der Küche gelingt es ihr ein Soletti aus
einer Packung im Vorratsraum zu bekommen. Zufrieden zieht Frau R. danach wie-
der von dannen.
In dieser WG wird versucht den BewohnerInnen die Möglichkeit zu geben, sich
selbst aus dem Kühlschrank zu bedienen. Es gibt für alle BewohnerInnen eine Vor-
ratsdose. Die Idee ist, dass sie am Nachmittag, wenn sie nach Hause kommen, sich
selbst aus dem Kühlschrank bedienen. Aus diesem Grund ist in der versperrbaren
Speisekammer ein zweiter Kühlschrank aufgestellt worden. Die Betreuungsperso-
nen meinen, dass Frau R. sich wahrscheinlich nicht an diese Regelung halten und
sich den Vorrat der MitbewohnerInnen aneignen wird.
Herr C. hat das gewohnte Ritual aufrecht erhalten. Sein erster Weg führt ihn nach
seiner Ankunft in der WG in die Küche, wo er sich an einem Sojapudding erfreut.
Danach holt er seinen Bademantel und setzt sich ins Bad. Nach dem Entspan-
nungsbad legt er sich lächelnd auf die Couch. Dabei liegt er mit dem Kopf am
Boden, seine Füße sind oben. Im Gegensatz zu früher regt sich niemand mehr
auf, wenn er dabei seine Hausschuhe nicht auszieht. Zwischendurch greift er nach
meiner Hand, führt mich zum Ausgang und signalisiert damit, dass er ausgehen
möchte. Ihm wird erklärt, dass sein Besuchsdienst bald kommt. Um 16.00 Uhr
läutet es und Herr C. verlässt mit seiner Begleitung die WG. Er wird nicht vor
18.30 Uhr zurück sein. Die Betreuungspersonen sagen, dass Herr C. gerne lange
Spaziergänge unternimmt. Trotzdem hat er leider an Gewicht zugenommen, was
mit seinem großen Appetit zusammenhängen dürfte.
Herr A. fragt heute, sobald er die WG betritt, wann sein Besuchsdienst kommt. Als
er hört, dass seine junge Dame am Samstag ihren Dienst hat, rechnet er sich aus
wie oft er noch schlafen muss. Herr A. hält sich meist in seinem schön eingerichte-
ten Zimmer auf und er verwendet beim Toastessen am Abend Gabel und Messer.
Weil Herr F. ebenfalls das Besteck verwendet anstatt mit den Händen zuzugreifen,
übernimmt auch Frau N. diese feine Art des Essens.
Frau A. schwärmt von einem Fahrer, der sie im Bus nach Hause bringt und oft auch
am Morgen abholt. Sie denkt an ihn und nimmt an, dass er jetzt sicher schon zu-
hause ist, müde ist und sich schlafen legt.
Frau R. kuschelt mit Frau N., die ihre Annäherungen mit einem Blick auf ihren
Freund, Herrn F., nur widerwillig duldet. Herr F. hat keinen Blick für diese Szene,
seine Augen sind eine Viertelstunde vor 19.00 Uhr starr auf seine Uhr gerichtet.
Nur noch wenige Minuten und er kann sich die drittletzte Zigarette des heutigen
Tages genehmigen, eine raucht er noch um 20.00 Uhr, die letzte eine Stunde spä-
ter.
Die WG ist schöner als vor vier Jahren gestaltet. Jede freie Fläche ist mit Bildern
behängt, die an einem kreativen Wochenende von den BewohnerInnen selbst ge-
staltet worden sind. Hinzugekommen sind Grünpflanzen am Ende des Ganges und
ein PC sowie einige Musikinstrumente. Vor allem an den Wochenenden werden,
wie die BewohnerInnen erzählen, Discoabende mit Musik aus den 60er und 70er
Jahren veranstaltet. Vor vier Jahren stand noch der Musikantenstadl im Mittel-
punkt des Interesses. Nach dem Essen beginnen sich die BewohnerInnen für die
Nacht vorzubereiten und ziehen sich nach der Einnahme der Medikamente in ihre
Zimmer zurück.
In der Sedlitzkygasse ist die alte Stammbelegschaft an BewohnerInnen noch da.
Nur Herr S. hat diese WG in Richtung WG Wassergasse verlassen und Frau T. ist
in die WG Karree St. Marx übersiedelt. Selbst Frau G., die einen Stock oberhalb
wohnt, ist noch da. Aus der zweiten Wohnung, die vor vier Jahren frei war, zieht
gerade ein Bewohner in eine eigene Wohnung um, wo er dann teilbetreut wird.
Herr F. ist neu aus der WG Dietrichgasse hinzugekommen. Herr F. hat sich sehr
gut in das WG-Leben eingefunden. Vor allem Frau N. ist froh, diesen von ihr sehr
geschätzten Mann im Nachbarzimmer zu wissen.
Ansonsten ist die Stammbelegschaft gleich geblieben.
Völlig neu ist das Betreuungsteam, nur die Reinigungskraft ist nach wie vor von
Montag bis Freitag im Einsatz und bei der Morgenpflege behilflich. Alle anderen
Betreuungspersonen samt Leitung sind neu. Allen ist es ein großes Anliegen für
höchstmögliche Zufriedenheit der BewohnerInnen zu sorgen. Ob sich Verbesse-
rungen, ein Gleichbleiben oder gar Verschlechterungen für die BewohnerInnen
ergeben, werden die folgenden Beobachtungen zeigen.