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auch so manche wache Nacht gekostet, aber durchaus auch erheiternde Erlebnis-se beschert. „Wenn er schlecht drauf war, hat er getobt. Er wohnt hier nicht! Er wohnt dort und dort und bleibt da nicht und wir halten ihn fest!“ Wenn es einmal ruhiger in der Wohngemeinschaf ist, so hat das Team dann beschlossen, dann fährt man dort mit ihm hin, wo er gewohnt haben soll.

Das Los hat Christl getrofen und sie schildert diesen Abend sehr eindrücklich und pointert: „Adresse habe ich ja gehabt. Und tatsächlich sind wir dann vor dem Haus gestanden, in dem er gewohnt hat. Wir sind mit dem Aufzug hinauf. Er aus dem Aufzug raus, ist sofort zu der Türe hingestürzt, hat geläutet. Eine Dame hat aufgemacht und hat gesagt: ‚Der ist schon wieder da!?‘ Da hab ich ihr gesagt, sie braucht sich nicht aufregen, wir setzen uns da ein wenig auf die Stufen und dann fahren wir wieder nach Hause. A. hat sich nieder gesetzt und hat geraucht und geraucht und geraucht und ich habe gesagt: ‚A. wir müssen nach Hause fahren!‘ Nur der Gute ist nicht aufgestanden. Ein Wohnungs-nachbar hat dann heraus geschaut und der war dann so net und hat die Polizei gerufen.

Da sind zwei Polizisten gekommen, und haben gesagt: ‚Was wollen Sie denn? Der randaliert ja nicht!‘ Das weiß ich, aber schauen sie ihn an und schauen sie mich an, ich kann ihn von hier nicht wegtra-gen und ich kann ihn nicht sitzen lassen! Ich wollte sie biten, dass sie so net sind und mir mit ihm ein wenig helfen. Sie bringen ihn hinunter, ich besorge mir ein Taxi und dann kann ich mit ihm nach Hause fahren. Die haben ihn links und rechts untergehakt, A. hat die

Beine angezogen. So haben sie ihn in den Aufzug hineingetragen. Und ausgesucht höfich war er zu den beiden Polizisten. Aber gegangen wäre er nicht! ‚Grüß Got Herr Inspektor!‘

Dann hat der eine Polizist gesagt: ‚Geh heast, de Frau scheib ma in Dritn, denn erst bringt‘s ihn net eine und dann bringt‘s ihn durt wieder net ausse!“ Mit Blau-licht sind wir nach Hause gefahren. A. net und höfich. Bis hinauf in die Wohnge-meinschaf sind sie mit und sagen dann: ‚So und jetzt benehmen sie sich!‘ Und er: „Ja, ja, Herr Inspektor!“ Und die waren weg und er hat zu schimpfen begonnen! Er war ganz außer sich. Und er bleibt jetzt am Tisch da sitzen und geht nicht ins Bet und macht nichts mehr. Wie er mich und meine Kollegin dann so beobachtet hat, ist er aufgesprungen und hat uns geschimpf: ‚Hexen, es seid‘s Hexen, sperrt‘s mi

ein!“ Und wir wollten ihn beruhigen und verhindern, dass er wieder in die Psych-iatrie kommt. Er hat weiter getobt.

Die Polizei, dein Freund und Helfer

Dann wieder die Polizei. Da sind zwei sehr Nete wieder gekommen. Die hat er sowas von freundlich gegrüßt. Die sind dann bei uns sitzen geblieben und dann haben wir auf den Amtsarzt gewartet. Sie haben ihn dann mitgenommen. Und ich wollte mich gerade ins Bet legen, geht das Telefon und eine junge Ärztn ist am Apparat: ‚Der Herr A. ist gut bei uns angekommen und es geht ihm gut und er will eigentlich nur nach Hause!‘ Da habe ich gesagt: Genau das ist das Problem! Dass er dort hin will, wo er schon seit zehn Jahren nicht mehr wohnt!“

Dass die Polizei bei ihm wahre Wunder bewirken konnte, zeigt eine Episode aus seiner frühen Betreuungsgeschichte: „Wir haben ihn die ersten drei Monate nicht ins Bad bekommen! Es hat gestunken in der Wohngemeinschaf, aber er hat sich ganz einfach fallen las-sen und wir haben ihn nicht dazu zwingen können. Aus irgendei-nem Grund war die Polizei im Haus. Kollegen haben gerade wieder versucht, ihn ins Bad zu bewegen. Das haben die Polizisten zufällig gesehen, wie wir ihn den Gang entlang schieben wollten. Und ha-ben gesagt: ‚Was ist denn da los?‘ Da haben wir ihnen das erklärt und dann zum ersten Mal erlebt, welchen Respekt die Polizisten bei ihm erzeugen. Der eine hat gesagt: ‚Herr A. gehen sie ins Bad, das geht doch nicht, da riecht es schon so ungut.‘ Und er hat nur gesagt: ‚Ist in Ordnung Herr Inspektor!‘ Und das war‘s, er hat sich gewaschen. Er ist zwar nicht gerne gegangen, aber der Bann ist gebrochen gewesen.“ So einfach kann Überzeugungsarbeit sein!?

Bei ihm, resümiert Christl nachdenklich, war der Tod ein Geschenk, weil wenn er ganz gut drauf war, hat er immer gesagt: “Ich will nicht mehr leben!“ Christl wollte ihn nie anlügen und sagen: „Das wird schon wieder besser…er hat keine Perspekt-ven gehabt …. dann Sekundentod …Das Leben war für ihn eine Qual!“

Trotz solch einschneidender Erlebnisse würde Christl ihr Berufsleben gegen kein anderes eintauschen wollen: „Für dieses Leben habe ich den passenden Beruf gehabt: Behindertenbetreuerin. Es war mir nie etwas zuwider. Ich häte mir nichts

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